"Fliegen sollte nicht normal sein"
Gerlinde Pölsler in Falter 23/2022 vom 2022-06-10 (S. 44)
Mit 19 arbeitete Maria Kapeller ein halbes Jahr in einem Café in Nordirland, und damit hatte die Sehnsucht nach der Ferne die Oberösterreicherin gepackt. Es folgten "unzählige" Reisen in Europa sowie Fernreisen nach Birma, Vietnam, Kambodscha. Per Flug-Lotterie kam sie nach Barbados, eine "halbe Weltreise" führte sie nach Neuseeland. "Ich gehörte zu jenen, die regelrecht süchtig nach der Ferne waren", sagt die heute 38-Jährige. Das Reisen wurde auch Teil ihres Berufs als Journalistin, Texterin und Bloggerin.
Doch zunehmend plagten Kapeller Zweifel daran, wie ökologisch und sozial verträglich unsere Reisegepflogenheiten sind. Etwa, als sie in Andalusien von hitzebedingt knapp gefüllten Trinkwasserreservoirs las, während sie im Pool ihres Ferienhauses plantschte. Mit ihrem ersten Buch macht sich Kapeller für ein langsameres und umweltbewusstes Reisen stark. Dass sie sich damit angreifbar macht -hat sie selber doch schon so viele Länder gesehen -, weiß sie. Heute würde sie aber vieles anders machen. Oder gar nicht mehr.
Falter: Nach mehr als zwei Jahren CoronaKrise können wir in diesem Sommer endlich wieder reisen wie zuvor. Viele atmen erleichtert auf. Was gibt es denn daran auszusetzen?
Maria Kapeller: Wir konnten auch in der Corona-Pandemie reisen, aber halt anders: so, wie wir in Zukunft reisen sollten. Also einfach den Rucksack umschnallen und zu Fuß von zuhause weggehen oder in einen Zug steigen. Wir haben jetzt die Erfahrung gemacht, dass man auch in der Nähe reisen kann. Das ist gut, da wird etwas bleiben, aber ich glaube, leider nicht so viel. Die Flüge sind schon wieder gut gebucht, man will weg von der Krise, weg von der Pandemie. Laut Prognosen wird der Flugverkehr schon 2024, wenn nicht gar 2023 wieder auf dem Vor-Corona-Niveau liegen, also bei weltweit rund 4,5 Milliarden Passagieren.
Sie selbst sind zwar immer schon gern mit dem Zug gefahren, haben aber auch ganz schön viele Flüge absolviert -Ihr billigster Flug hat zehn Cent gekostet. Heute gehen Sie aber mit der üblichen Reiserei hart ins Gericht. Warum?
Kapeller: Ich bin in der Vielflieger-Generation aufgewachsen, das war normal -sollte es aber nicht sein. Wir bereisen Länder, die sich einen Massentourismus aufbauen, der ihre Umwelt zerstört. Aber irgendwann will niemand mehr hin, dann stehen die leeren Hotelburgen da und die Touristen ziehen weiter. Mit dem Tourismus tragen wir zur Zerstörung vor allem der Länder im globalen Süden bei, die selbst nur wenig Zugang zum Fliegen haben und am stärksten unter dem Klimawandel leiden.
Inwiefern tragen wir zu deren Zerstörung bei?
Kapeller: Langstreckenflüge in die USA oder nach Mittelamerika verursachen CO2-Äquivalente von fünf bis sechs Tonnen. Das ist das Zehnfache dessen, was ein Mensch in Äthiopien im ganzen Jahr verursacht. Wäre das CO2-Budget fair verteilt, dann hätte jeder Mensch nur eineinhalb bis zwei Tonnen pro Jahr zur Verfügung, wenn die Klimakrise nicht weiter verstärkt werden soll. Aktuell emittieren wir in den westlichen Industrieländern schon mit unserem normalen Lebensstil etwa zehn Tonnen pro Jahr.
Aber wenn jemand das ganze Jahr über umweltbewusst lebt, sich vielleicht sogar vegetarisch und bio ernährt, viel mit dem Rad fährt, darf der sich dann nicht wenigstens alle paar Jahre einen Flug gönnen?
Kapeller: Genau diesen Mythos à la "Wenn ich im Alltag umweltfreundlich lebe, kann ich eh fliegen" wollte ich mit meinem Buch aufdecken. Nur weil ich Biolebensmittel kaufe, heißt das nicht, dass ich juhu herumfliegen kann, wenn mir der CO2-Abdruck wichtig ist. Wie es der Nachhaltigkeitsforscher Niko Paech in meinem Buch sagt: Für das Klima ist Fliegen das Schädlichste, was ein Mensch tun kann.
Es gibt ja CO2-Kompensation. Man zahlt dafür, dass Bäume gepflanzt oder Solaröfen gebaut werden, die die Flugemissionen ausgleichen. Genügt das nicht?
Kapeller: Nein. Erstens machen das nur wenige Menschen, zweitens ist es bloß eine Art Ablasshandel. Ich stecke Geld in ein Projekt, das CO2 in einem weit entfernten Land binden oder neue Emissionen vermeiden soll -aber die Treibhausgase durch meinen Flug sind ja trotzdem emittiert, der Schaden ist passiert. Eine Forscherin der Wiener Boku hat mir gesagt, dass ein Großteil dieser Programme nicht sinnvoll sei.
Warum nicht?
Kapeller: Weil es viele dieser Programme etwa zur Wiederaufforstung sowieso gäbe. Oder weil schnell wachsende Bäume gepflanzt werden, die sehr viel Wasser brauchen, was wieder kontraproduktiv ist. Oder weil die Bäume frühzeitig gefällt werden, sodass sie das CO2 gar nicht aufnehmen können. Die Frage ist, warum wir CO2 ausstoßen und dann wollen, dass jemand in Afrika etwas Umweltfreundliches macht. Dazu kommt der Rebound-Effekt: Durch die Kompensation redet man sich das Fliegen schön und fliegt womöglich noch mehr.
Ist das Fliegen nicht nur ein Nebenschauplatz? Je nach Schätzung macht es vier bis acht Prozent der globalen C02 Emissionen aus.
Kapeller: Noch! Das ist nur deshalb so, weil derzeit erst ein so geringer Teil der Weltbevölkerung fliegt. Auch in Österreich heben nur 16 Prozent mehrmals im Jahr ab, während 39 Prozent der Bevölkerung nie fliegen. Aber es werden immer mehr. Laut der Europäischen Umweltagentur wird der Anteil des Flugverkehrs an den globalen Emissionen im Jahr 2050 ein Viertel betragen.
Aber die Industrie forscht doch intensiv am klimaneutralen Fliegen.
Kapeller: Ja, da wird sehr viel geforscht: an optimierten Flugrouten, aerodynamischen Flugzeugformen, E-Fuels und Hybridantrieben. Aber die Erfolge bei den alternativen Treibstoffen sind überschaubar. Die Sitzplatzkapazitäten sind gering, man kommt vielleicht tausend Kilometer weit und es ist sehr teuer. Selbst wenn wir umweltfreundlicher fliegen könnten, gibt es ja noch das Wachstum. Und auch eine neue Technik braucht Ressourcen. Uns immer auf die Technik zu verlassen, ist der fatalste Fehler.
Das Umsteigen wird einem allerdings nicht gerade leicht gemacht: Flugtickets sind oft so viel billiger als Zugkarten.
Kapeller: Ich habe früher auch öfter so entschieden, aber bei denen, die es sich leisten können, sehe ich das mittlerweile als Ausrede. Reisen ist Luxus, und wir müssen nicht überall hin. In vielen Ländern haben die Menschen weder das Geld noch den passenden Reisepass, um weit zu reisen. Außerdem entwickelt sich das Zugangebot in die richtige Richtung. Sicher, es muss besser und noch leistbarer werden, aber wenn es mehr Nachfrage gibt, werden europaweit auch mehr Züge fahren.
Sie, ich, viele von uns haben schon Fernreisen gemacht. Wie erklärt man 20-Jährigen, dass sie nun verzichten sollen?
Kapeller: Es geht nicht darum, nie im Leben eine Fernreise zu machen. Aber wir müssen von dem Gedanken wegkommen, dass Fliegen normal sei. Das ist es erst seit wenigen Jahrzehnten. Wir haben die Verantwortung, der neuen Generation zu sagen:
Wir haben es falsch gemacht, macht es bitte besser. Eurer eigenen Zukunft zuliebe. Wir fragen uns immer, wie wollen wir leben und reisen, aber dieses "Wie" können wir irgendwann streichen.
Sie meinen, weil die Frage inzwischen lautet: Wollen wir überhaupt weiter leben?
Kapeller: Ja, es gibt immer einen Aufschrei - jetzt will man uns auch noch das Reisen verbieten. Nein. Aber wir müssen so reisen, dass wir den Planeten nicht zerstören, weil es sonst nichts mehr zu bereisen gibt. Da sehe ich gerade bei den jungen Leuten einen Paradigmenwechsel: Man braucht sich nur Elias Bohun anschauen, der als Maturareise mit dem Zug nach Vietnam gefahren ist und mit 19 Jahren das Zugreisebüro Traivelling gegründet hat.
Wann haben Sie selbst angefangen, an der gängigen Reisepraxis zu zweifeln?
Kapeller: Ich habe lange Zeit so wie alle anderen auch günstige Flüge gebucht. Dass Fliegen so schädlich ist, ist nach und nach bei mir gesickert.
Wann sind Sie das letzte Mal geflogen?
Kapeller: 2018 von Marokko nach Österreich, nachdem ich mit dem Zug und der Fähre hingereist war.
Nun haben Fernreisen ja auch viele positive Seiten: Sie bringen Menschen zusammen, erweitern den Horizont. Wenn jetzt jeder wieder nur in seiner kleinen Welt bleibt, hat das nicht auch etwas Provinzielles?
Kapeller: Natürlich ist es eine Bereicherung. Aber es gibt ja auch andere Möglichkeiten für kulturellen Austausch: indem man einmal für längere Zeit woanders arbeitet. Oder indem man zuhause Kontakt mit Menschen aus anderen Kulturen hat. Aber das Herumreisen wird einfach übertrieben. So weit, dass Menschen das "Templed-out-Syndrom" haben.
Was ist das denn?
Kapeller: Das ist, wenn ein Reisender viele der großen buddhistischen und hinduistischen Tempel Südostasiens abgeklappert hat. Am Anfang hat man sie total mystisch gefunden, aber irgendwann hat man keine Lust mehr. Dann habe ich oft gehört: "Mein Gott, ich bin so templed-out."
Nun leben doch viele Menschen, ja ganze Länder vom Tourismus. Und er kann ja auch Positives für die Regionen bewirken.
Kapeller: Sicher, wenn die Leute vor Ort eingebunden sind, wenn das Geld auch bei ihnen ankommt. Aber das ist oft nicht so. Da werden etwa Fischer vertrieben, damit ein Hotel gebaut werden kann. Ein großer Teil des Geldes geht an ausländische Baufirmen und andere Unternehmen, gerade auf Inseln gibt es wenig regionale Lebensmittel, da geht das Geld an europäische Händler.
Sie zitieren Hans Magnus Enzensberger: "Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet." Haben Sie sich manchmal gefragt, ob Sie nicht etwas kaputtmachen, einfach deshalb, weil Sie vor Ort sind?
Kapeller: Ja, ganz oft. Angefangen damit, wenn man über einen exotischen Markt geht und die Leute fotografiert - das ist eigentlich total übergriffig. Fotografiert werden eher arme Leute, nicht die Geschäftsleute. Oder wenn man als Tourist in ein Lokal geht, wo nur Einheimische sind - das ist ja gut, weil Austausch passiert, aber wenn es zu viel ist, ist es kein Ort mehr für Einheimische. Ich selber gehe gern im Ausland zum Friseur. Das habe ich auch in Marokko gemacht, es war lustig, ich habe jemanden kennengelernt und wir sind dann durch die Stadt gegangen. Aber auch da denke ich mittlerweile: Wenn das jeder macht
Bei der Reiseplanung, sagen Sie, hätten wir oft nur Destinationen im Kopf, anstatt auf unsere Bedürfnisse zu schauen.
Kapeller: Wir wollen mit dem Reisen oft Zeitmangel oder Schwierigkeiten im Alltag kompensieren. Aber vielleicht sollten wir uns fragen: Was würde mir jetzt wirklich guttun? Brauche ich eine Woche, in der ich mit niemandem rede und nur in der Natur bin, oder brauche ich Gesellschaft und andere Sinneseindrücke? Und wie kann ich das so erreichen, dass ich der Umwelt und anderen Leuten nicht schade?
Wo wird Ihre nächste Reise hingehen?
Kapeller: Die geht nach beruflichem Erfordernis. Ich soll an die Nordsee fahren. Ich bleibe dann gleich länger. Mein Bedürfnis ist: Handy ausschalten, Meeresrauschen hören. Und nicht übers Reisen reden.
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